Nachrichten im abendlichen Privatfunk

Gestern Abend fahre ich um kurz vor 21.00 Uhr mit Kollegen und Freunden durch Hamburg. Ein Handy im Auto klingelt. Der Anrufer erzählte von Robert Enke, der wohl relativ plötzlich gestorben war. Sofort holt einer sein iPhone aus der Tasche, tippt den Namen in die grosse Suchmaschine mit den sechs Buchstaben und landet auf einer News-Seite. Unfall auf Bahnübergang in der Nähe von Hannover, vermutlich Selbstmord. Noch während ich krampfhaft versuche den Namen einzusortieren (ich habe ein ziemlich schlechtes Namensgedächtnis) fügt er hinzu, dass Spieler bei Hannover 96 und Anwärter auf den Posten des Nationaltorhüters war. Was hätten wir früher nur ohne mobiles Internet gemacht? Klar, das vorhandene Halbwissen zusammengetragen um später eines Besseren belehrt zu werden aber hey: Wir sind im Jahr 2009!

„Mach mal das Radio an“ murmelte ich in den Raum. Wir landeten bei R.SH. Die Nachrichten laufen dort um 55 – also wahrscheinlich um den Hörer immer fünf Minuten früher zu informieren (ich habe nicht genau hingehört). Behandelt wurden dort die Themen Schweinegrippe (inklusive kurzen O-Tönen von sog. „Schleswig-Holstein-Reportern“ – ich gehe von einer Regionalisierung im Programm aus), Opel, Karstadt und einige andere relativ zeitlose Neuigkeiten. Kein Wort von Enke. Einige Minuten später auf NDR2 wurde bereits über den vermuteten Selbstmord berichtet.

Was schliessen wir daraus? Bei R.SH waren zu dem Zeitpunkt bereits die Lichter aus. Nachrichten und Wetter wurden haltbar bis zum nächsten Morgen in der Sendeautomation geparkt, die Verkehrsmeldungen kommen ebenfalls aus dem Computer (hier ein Mitschnitt von delta radio aus dem Sommer 2006, delta radio sitzt im gleichen Haus, manch hört hier relativ schön die Textbausteine) und die Musik… naja, die kommt seit Jahren aus dem Rechner. Und ich verrate sicher kein Geheimnis, dass das Wetter auf OS Radio ebenfalls aus dem Computer kommt. Auch die Nachrichten sind nicht live. Sie werden kurz vor der vollen Stunde aufgenommen und per FTP von einem Server in die Automation geladen. An diesem Server bedienen sich übrigens mehrere Stationen. Daher finanziert sich dieser 24/7-Dienst, die Nachrichten sind also auch nachts um 2.00 aktuell.

Der Tod von Robert Enke interessiert sicher nur einen verhältnismässig kleinen Teil in der Bevölkerung. Durch die besonderen Umstände ist die Nachricht sicher aber auch für Nicht-Sport interessierte interessant. Die Meldung wäre also schon ein Top-Thema in den Nachrichten bzw. ein paar Sonderbeiträge wert gewesen (gerade vor dem Hintergrund Nationaltorwart). Für R.SH offensichtlich wohl nicht. Und dieser Sender ist sicher nicht der Einzige, bei dem um 20.00 Uhr die Lichter ausgehen und Kollege Computer das Ruder übernimmt. So erfährt der Hörer erst am nächsten Morgen (oder bei dem öffentlich-rechtlichen Sender nebenan) Dinge, die am Abend bzw. in der Nacht passiert sind. Hier zeigt sich wieder mal das glattgebügelte Gesicht der Berater, die das Medium „Radio“ tot formatiert haben. Ein Sender muss rund um die Uhr glatt sein (keine Specials am Abend) und sich rechnen. Wohin also mit den Freaks die gerne zu später Stunde für lau oder kleines Geld eine spezielle Musiksendung machen würden? Wegformatieren. Und da eh nix live ist, kann man auch Nachrichten, Wetter und Verkehrsmeldungen automatisieren.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich R.SH nicht weiter gehört habe. Vielleicht ist doch noch jemand ins Studio und hat das Voicetrack-Programm mit Sondermeldungen unterbrochen. Der Name des Senders lässt sich aber sicher mit anderen in Deutschland austauschen. Dank solcher Sender erfahren wir erst in der lustigsten Morgenshow zwischen einem Megahit der 80er und dem 500.000 Euro Cashcall, dass in einem Nachbarbundesland ein Atomkraftwerk explodiert und im Umkreis von 300 Kilometern alles verstrahlt ist. Aber: Es rechnet sich buchhalterisch. Gute Nacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert